Nur an einer Stimme ist im ÖVP-Parteivorstand der Plan gescheitert, ein „Mehrheits-Wahlrecht“ als Ziel zu verfolgen. Auch in der SPÖ gibt es Befürworter für dieses System. Die Einführung würde Österreichs Demokratie auf den Kopf stellen...
ÖSTERREICH (cm) Von der Bevölkerung eher wenig beachtet hat sich innerhalb der ÖVP eine heftige Diskussion zum Parteiprogramm abgespielt.
Thema der innerparteilichen Diskussion war ein „Minderheiten-freundliches Mehrheits-Wahlrecht“, das auf Antrag der Jungen ÖVP fast 2/3 der Delegierten befürwortet haben.
Der ROFAN-KURIER hat zum Thema den Instituts-Leiter der Politikwissenschaftlichen Fakultät an der Uni Innsbruck, Univ.-Prof. Dr. Ferdinand Karlhofer zum Interview gebeten.
ROKU: „Wie sollte das Mehrheits-Wahlsystem, das sich die ÖVP in ihr Parteiprogramm schreiben wollte, funktionieren?“
KARLHOFER: „Beim diskutierten Vorschlag handelt es sich um eine Kombination aus Mehrheits-Wahlrecht und Verhältnis-Wahlrecht. Die stimmen-stärkste Partei erhält die Hälfte der Mandate minus 1 Mandat. Die andere Hälfte (der Sitze im Nationalrat. Anmerkung) würde dann im Verhältnis unter allen anderen Parteien aufgeteilt.“
ROKU: „In Österreich liegen SPÖ, ÖVP und FPÖ in Umfragen fast gleich auf. Sie schwanken zwischen 25% und 27%. Eine dieser Parteien würde dann mit vielleicht nur 26% der Stimmen im Nationalrat aber 50% der Sitze bekommen...“
KARLHOFER: „Wenn man sich fragt: „Wie würde das bei der Bevölkerung ankommen?“, kann man davon ausgehen, dass die Einführung ein absoluter Kulturschock wäre. Jeder, dessen Partei knapp hinter der stärksten liegt, wäre in seinem Gerechtigkeits-Gefühl massiv gestört. Eine Einführung von einer Wahl zur nächsten halte ich für schier unmöglich.“
ROKU: „Was ist an diesem System minderheiten-freundlich?“
KARLHOFER: „Die Stärkste Partei soll gut regieren können – aber die anderen gehen nicht ganz verloren. Das was verbleibt, diese 50% plus 1 Mandat, sollen auf den Rest – auf allen anderen Parteien – aufgeteilt werden.“
ROKU: „Ist die Motivation für so ein System generell der Macht-Erhalt?“
KARLHOFER: „Die Überlegung lautet: Wie können Kartell-Parteien, die sukzessive Wähler abbauen, ihre Macht und ihre Regierungs-Beteiligung trotzdem sichern? Da ist das Mehrheits-Wahlrecht ein gutes Modell… Wobei es hier aber auch eine ganze Reihe anderer Motive gibt. Ein Wahlsieger, der mit einer stabilen Mehrheit ausgestattet ist, kann sich mit dem nötigen Selbstbewusstsein eine kleinere Partei als Koalitions-Partner holen.“
ROKU: „Der Schuss könnte auch nach hinten losgehen...“
KARLHOFER: „Durchaus... Siehe Frankreich: Hier ist die Front National bereits einmal in die Stichwahl um den Staatspräsidenten gekommen. Das möchte man jetzt wieder verhindern. Daher soll das Mehrheits-Wahlrecht in Frankreich wieder abgeschafft und in ein Verhältniswahlrecht umgewandelt werden.“
ROKU: „Ein Argument für ein Mehrheits-Wahlrecht ist die Regierbarkeit, die Stabilität.“
KARLHOFER: „Wenn schon die Regierungs-Stabilität ein Kriterium ist, für den Plan eines Mehrheits-Wahlrechtes, dann stellt sich aus politikwissenschaftlicher Sicht die Frage: Drei-Parteien-Koalition? Why not! In den meisten Ländern regieren drei, vier oder sogar fünf Parteien – diese Regierungen sind deshalb keineswegs instabil. Da sind die kleineren Parteien ein starkes Korrektiv für Machtmissbrauch, weil sie andere Interessen einbringen. Dadurch kommen durchaus stabile Regierungen zustande wie etwa in Holland, Schweden, Dänemark…“
Bei der Motivation für ein Mehrheits-Wahlrecht spielt parteitaktisches Kalkühl sicher auch eine Rolle. Aber wenn man längere Zeit die Erfahrung gemacht hat, dass die Regierungs-Bildung unvermeidlich in einen Korridor führt, wo es keine andere Möglichkeit außer Zwangsehe gibt, ist das auch nachvollziehbar. SPÖ und ÖVP sind sehr widerwillig in die letzte Koalition gegangen. Hier wurde das Politik-Immage arg in Mitleidenschaft gezogen.“
ROKU: „Wie steht die SPÖ zu dieser Frage?“
KARLHOFER: „Die SPÖ geht eher in die Richtung, Persönlichkeits-Elemente zu stärken – mit Vorzugsstimmen etc. Eine starke Innitiative für das Mehrheits-Wahlreht gibt es nicht. Aber es gibt Befürworter wie Franz Vranitzky, die aber bereits politisch inaktiv sind. Nachdem das bei der ÖVP jetzt nicht ins Parteiprogramm aufgenommen wurde, wird das Thema wohl auch wieder verschwinden. Was kommen könnte ist, dass man mehrheitsfördernde Elemente einführt. In Deutschland beispielsweise kann der Wähler mit der Zweit-Stimme die Koalitions-Präferenz vorgeben. Es ist in Österreich ein Unding, dass man den Wähler bezüglich Koalition vor den Wahlen meist im Unklaren lässt.“
ROKU: „Was muss in Österreich passieren, damit das Mehrheits-Wahlsystem eingeführt werden kann?“
KARLHOFER: „Das wäre eine 2/3-Entscheidung im Nationalrat. Dafür wird es kaum die nötige Mehrheit geben. Wenn es aber Blockaden bei der Regierungs-Bildung gibt, könnte entweder ein Zweitstimmen-Modell kommen, (nach Deutschem Vorbild: Die Erst-Stimme geht an die bevorzugte Partei, die Zweit-Stimme legt den gewünschten Koalitions-partner fest. Anmerkung) wo der Wähler die Koalittion präferieren kann. Oder man führt einen Mehrheits-Bonus für die Stärkste Partei ein, damit die Zersplitterung entschärft wird und die logische Regierungs-Partei mit Selbstbewusstsein ausgestattet einen Regierungs-Partner suchen kann.“
ROKU: „Danke für das Gespräch!“
Letzte Änderung am Freitag, 05 Juni 2015 09:17
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