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Sich freischälen und von allem entblößen

Montag, 28 November 2016
Freigegeben in Termine & Kultur
1971 ließ Peter Turrini mit einem Proteststück aufhorchen. In "Rozznjogd" zeichnete der Autor eine von Kapitalismus geprägte Wirklichkeit, prangerte die Konsumgesellschaft an. Regisseur Markus Plattner transformierte dies österr. Kultstück in die Gegenwart.

Schwaz - Eine junges Paar trifft sich nachts auf einer Mülldeponie, um sich intimer kennenzulernen. Mitten im menschlichen Abfall treiben sich Ratten herum, die beiden entwickeln ein gemeinsames Feindbild. Wer dem zivilisierten System entkommen will, muss sich entblößen, seinen Körper, seine Seele. Aber ist es möglich, so gesellschaftlich demaskiert, zu überleben?

"Rozznjogd" aktueller denn je

Regisseur Markus Plattner lässt das junge Paar sich freischälen von allen Konventionen, ablegen, was unecht ist und sich zu ihrer Nacktheit bekennen, weil nur in dieser Wahrheit steckt. Eine spirituelle, buddhistisch geprägte Idee mit Symbolkraft. Doch zugleich wird auf alles geschossen, was anders ist. Wer sind nun die Guten, wer die Bösen? Und wieso erscheinen die Ratten menschlich? Die Antwort scheint komplex und schwierig.
Markus Plattner stellt sich in unvergleichlicher Bildsprache und neuer Textinterpretation dieser Auseinandersetzung. In purer Inszenierung gibt er Raum für Auseinandersetzung und schafft Platz für zeitgenössische Interpretation. "Ein Kunstwerk der Spannung, Exzessivität und Schauspielkunst" so der Regisseur. Die Nachwuchsschauspieler Eva Ritzer und Matthias Rankov malen in starker Darstellung ein aussagekräftiges, unter die Haut gehendes Bild und verleihen so dem Stück eine neue, feurige Dynamik. Im Konzept von Barbara Hölzl verschmelzen die Ebenen von philosophischer Symbolik und anarchistischer Gewalt.
Aufführungen gibt's noch am 2., 3., 10. und 11. Dezember, jeweils um 20:15 Uhr im "Theater im Lendbräukeller" Schwaz. (gmk)



Markus Plattner, geboren 1976 in Schwaz, ist Regisseur der Erler Passionsspiele, Obmann des Schwazer Lendbräukellers, Projektleiter Spielfest, Streetworker und Philosoph. Ein Interview mit dem ROFAN-KURIER über kommende Projekte und sein Engagement für Menschen, die durch den "Rost gefallen sind".

ROKU: "Woher nimmst Du die Kraft für so viele Aufgaben?"
PLATTNER: "Ich hab einfach das Gefühl, ich muss es tun. Es ist meine Erfüllung."

ROKU: "Nach dem riesen Erfolg der letzten Passionsspiele in Erl mit über 60.000 Besuchern, gibt es für Dich schon weitere große Projekte?"
PLATTNER: "Natürlich! Zurzeit bin ich viel in Oberösterreich als Regisseur von Felix Mitterers ‚Jägerstätter‘ in der Festspielhalle Mettmach. Desweiteren läuft das Spielfeld-Projekt und im Lendbräukeller spielt Loriots ‚Szenen einer Ehe‘. Für den Silbersommer 2017 in Schwaz laufen die Vorbereitungen von Khalil Gibrans ‚Der Prophet‘ mit Anja Pölzl in der Hauptrolle. Dafür ziehen wir als Wanderbühne durch die Altstadt. Ebenfalls für den Silbersommer geplant ist eine Uraufführung von Felix Mitterer. Er schreibt noch am Drehbuch."

ROKU: "Was planst Du für die nächsten Passionsspiele in Erl?"
PLATTNER: "Das Grundprinzip würde ich beibehalten, vielleicht etwas zeitbezogener. Der Prozess der Empathie darf mehr in die Tiefe gehen. Ich will den Menschen die Angst vor Gott nehmen."

Das Spielfest


ROKU: "Du hast das Projekt Spielfest angesprochen. Was genau ist das?"
PLATTNER: "Theaterstücke, welche mit Laiendarstellern generationsübergreifend gespielt werden.
Im Seniorenheim, im Jugendtheater, wie etwa im ‚Funtasy‘ in Innsbruck, oder auch in der Haftanstalt. Es werden Stücke mit Angstfreiheit, die Brücken bauen aufgeführt. Ich möchte mich dabei als Verbindung verstehen."

ROKU: "Was war der Anstoß zu diesem Projekt?"
PLATTNER: "Damals bin ich über ‚Jugendland‘ in Innsbruck zum Streetwork gelangt. Später folgte eine Anfrage vom Gefängnispsychologen zwecks pädagogischem Theater. Ich bin ein wacher Gesellschaftsbeobachter. Dadurch lerne ich Menschen kennen, die gleich ‚ticken‘ wie ich. Der Weg führt uns zueinander. Ich wittere damit eine Chance für die Gesellschaft, durch gegenseitigen Austausch Schwachstellen aufzuzeigen. Soziales, Kunst und Philosophie dürfen keine Begleiterscheinungen sein, sondern der zentrale Punkt. Andere Menschen halten uns einen Spiegel vor."

ROKU: "Wie denkst Du über Deine Heimat Schwaz?“
PLATTNER: "Schwaz ist vielfältig und hat unglaubliches künstlerisches Potential. Schwaz leistet sich auch feine alternative Kunst. Das finde ich super!"

ROKU: "Gibt es Wünsche an die Zukunft?"
PLATTNER: "Ich würde gerne mehr Impulse zur gesellschaftlichen Entwicklung geben können. Eine Verbindung von sozialer Arbeit mit Kunst. Mitgefühl bemalt das Ich mit den Farben des Du. Ich empfinde und werde empfunden."

ROKU: "Noch ein Wort zur Familie?"
PLATTNER: "Das Theater, mit all den Menschen dabei, ist meine Familie. Und natürlich mein Hund Mariedl."
ROKU: "Danke für das Gespräch." (aheu)
© Rofankurier