Von der Alterspyramide zum „demographischen Döner“
Die Menschen werden immer älter. Gleichzeitig kommen weniger Kinder zur Welt, weniger Ehen werden geschlossen. Das bringt große Herausforderungen mit sich: Allein in Tirol müssen in den nächsten 10 Jahren 2.100 zusätzliche Pflegekräfte eingestellt werden.
ÖSTERREICH/TIROL (cm) Dass derzeit mehr alte Menschen leben als je zuvor, hat verschiedene Gründe: Einerseits hat sich die medizinische Versorgung stark verbessert. Die Menschen werden älter. Andererseits kommen jetzt die geburtenstarken Jahrgänge der Nachkriegszeit ins Pensions-Alter. Weil zugleich aber immer weniger Kinder geboren werden, sind in nur 10 Jahren, also 2022, voraussichtlich bereits 26% der Tirolerinnen und Tiroler über 60 Jahre alt! Die Alterspyramide hat ihren Namen nicht mehr verdient: Sie entwickelt sich immer mehr zum „demographischen Döner".
Weniger Junge, mehr Alte: Das stellt die Gesellschaft vor große Herausforderungen, auch vor Probleme. In Tirol beispielsweise müssten in den nächsten 10 Jahren 2.100 neue Pflege-Kräfte gefunden werden und 1.300 zusätzliche Heimplätze entstehen. Der ROFAN-KURIER hat zu diesem Thema mit Gesundheitslandesrat Dr. Bernhard Tilg gesprochen.
ROKU: „Herr Landesrat, wie sehen Sie das, wie begegnet man dieser Herausforderung?"
TILG: „Generell gilt: Wir müssen versuchen, dass unsere Seniorinnen und Senioren so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden bleiben können. Laut unseren Erhebungen wollen das auch 80% der älteren Leute. Sie bleiben aktiver und es spart dem Staat Geld, wenngleich wir auch viel in die Betreuung zu Hause investieren. Die Sozial- und Gesundheitssprengel, aber auch unsere niedergelassenen Ärzte ermöglichen den älteren Menschen, die das wollen, ein Altern in Würde zu Hause. Das fängt bei Essen auf Rädern an und geht bis zu Projekten mit betreutem Wohnen oder ambulanter, palliativer Hospiz-Pflege." Ein schwerer Pflegefall kostet am Tag übrigens etwa 190,- EURO, also knapp 70.000,- EURO pro Jahr.
ROKU: „Wird man es in Tirol schaffen, die 2.100 zusätzlichen Pflege-Kräfte bis 2022 auszubilden?"
TILG: „Das ist eine große Herausforderung. Wir bilden aber derzeit an allen Tiroler Krankenpflege-Schulen aktuell pro Jahr bereits 210 zusätzliche Schüler aus. Die arbeiten dann zwar oft auch in Krankenhäusern, aber auch in Heimen. Darüber hinaus bieten wir über das AMS oder das AZW besondere Kurse und Zusatzausbildungen in diesem Bereich an und es gibt Schulungen für Wiedereinsteiger, die komplett vom Land Tirol finanziert werden."
ROKU: „Was denken Sie: Hält angesichts der demographischen Entwicklung das Pensionssystem?"
3 Milliarden Landes-Budget, 30 Milliarden Pensionen!
TILG: „Man muss sich das mal vorstellen: Die gesamte Tiroler Landesregierung hat mit der Verwaltung ein Jahresbudget von etwa 3 Milliarden EURO. Zum Vergleich: Österreich bezahlt bereits jetzt Pensionen in der Höhe von etwa 25 Milliarden EURO, die PVA gibt insgesamt pro Jahr 30 Milliarden EURO aus. Das sind schon Summen. Allein in Tirol werden 1,8 Milliarden EURO pro Jahr an Pensionen ausbezahlt. Weitere 180 Millionen pro Jahr kostet allein der Pflegebereich. Tendenz steigend. Bereits in 10 Jahren sollen sich hier die Kosten etwa verdoppeln."
ROKU: „Ist das zu bewältigen? Wie schaut hier die Lösung aus?"
TILG: „Österreich ist bereits jetzt ein Hoch-Steuerland. Aber man wird darüber sprechen müssen, ob nicht auch wie im Gesundheitsbereich (also eine Krankenversicherung) eine Pflegeversicherung Pflicht wird. Ansonsten wird es wirklich schwer werden, diese Kosten auch in 10 oder 20 Jahren im Pflegebereich noch zu decken. Bereits bis jetzt wurden etliche Projekte wie Münster, St. Johann oder Kitzbühel umgesetzt. In den Bezirken Kitzbühel, Kufstein, Schwaz wurden in den letzten Jahren 400 neue Jobs im Gesundheits- und Pflegebereich geschaffen. Bis 2020 fließen 700 Mio. EURO in den Ausbau weiterer Krankenhäuser."
3 Millionen infizieren sich im Krankenhaus!
Ein Oberarzt, der bei der Visite von Patient zu Patient geht, ohne sich dazwischen die Hände zu desinfizieren? Diese Fossile sterben langsam aus. Doch Mediziner berichten, dass sie dies noch vor 20 Jahren während ihrer Ausbildungszeit auch in Tiroler Krankenhäusern beobachtet haben!
EUROPA/TIROL (rr) Das Krankenhaus: Ein Ort der Sauberkeit, wo alles ganz steril hergeht. Eigentlich.
Doch alleine in Europa infizieren sich Jahr für Jahr etwa drei Millionen Menschen in Krankenhäusern mit Keimen oder Viren.
Landes-Sanitätsdirektor Dr. Franz Katzgraber dazu: „Es ist oft auch der Zeitdruck an den Kliniken, in Sanatorien oder Arzt-Praxen, der die Leute die Wichtigkeit der Hände-Desinfektion vergessen lässt.“
Teils mit verheerenden Folgen: Denn gerade in Krankenhäusern gibt es sogenannte „Multiresistente Erreger“, die mit Antibiotika nicht bekämpft werden können.
Durch das einfache Desinfizieren der Hände mit 80-prozentigem Alkohol sterben diese Erreger aber ab! Die Spender dafür findet man in Tirol beinahe in jedem Patientenzimmer, in den WCs und teils sogar am Gang.
Dazu Dr. Cornelia Lass-Flörl von der Med-Uni Innsbruck: „Die Übertragung von krankheitsverursachenden Keimen ist für alle Bereiche der Gesundheitsversorgung ein relevantes Problem. Mit einer so simplen Maßnahme wie dem Desinfizieren der Hände kann in Krankenhäusern oder anderen Einrichtungen verhindert werden, dass multiresistente Keime übertragen werden!“
Tirol startet „Aktion saubere Hände“
Aufgrund der Bedeutung des Themas hat Tirol kürzlich offiziell die „Aktion saubere Hände“ gestartet. Dabei geht es nicht um einen Anti-Korruptions-Pakt, sondern darum, das Bewusstsein für die Wichtigkeit von desinfizierten Händen in allen Bereichen des Gesundheits-Wesens wieder mehr zu stärken.
Drei Millionen Infektionen
Tirols Gesundheits-Landesrat Dr. Bernhard Tilg ist dieses Thema ein echtes Anliegen: „In Europa verzeichnen wir drei Millionen Fälle von Krankenhaus-Infektionen pro Jahr. Dadurch steigen die Kosten und die Aufenthaltsdauer von PatientInnen in Krankenhäusern enorm. Ganz zu schweigen vom Gesundheitsrisiko. Durch eine so simple und kostengünstige Maßnahme wie die Händehygiene können laut Studien bis zu 40 Prozent dieser Infektionen verhindert werden! Daher muss dieses Thema für uns höchsten Stellenwert haben. Derzeit bemühen wir uns über die `Aktion saubere Hände´, dieses Wissen und die WHO-Standards zur Händehygiene noch mehr im Krankenhausalltag zu integrieren“, erklärt LR Bernhard Tilg.
Ziel der Aktion ist es, dass die Verhaltensregeln zur Händedesinfektion in allen Gesundheitseinrichtungen noch mehr zum selbstverständlichen Alltag werden. „Die Kampagne berücksichtigt Krankenanstalten, stationäre Pflege-Einrichtungen, niedergelassene Ärzte, Hauskrankenpflege, Rettungsdienste und Reha-Einrichtungen. In einem dreijährigen Stufenplan werden alle bettenführenden Krankenanstalten und die Landespflegeklinik, alle Pflegeheime, die Hauskrankenpflege und das Rettungswesen in das Projekt integriert“, erklärt dazu Landessanitätsdirektor Katzgraber.
Aufbauend auf der WHO-Kampagne „Clean Care is Safer Care“ wurde in Deutschland die Kampagne „Aktion saubere Hände“ ins Leben gerufen. Da es eine vergleichbare Aktion in Österreich nicht gibt, beteiligt sich Tirol in Deutschland.